Immer mehr Unternehmen der Elektro- und Elektronikindustrie lassen ihren Mitarbeitern die Wahl zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit.
Paul Schichter ist ein engagierter Vater. Dass er seine Tochter von der Schule abholt, ist für ihn selbstverständlich. Dass die Nachmittagsbetreuung aber freitags schon eine Stunde früher als sonst endet, würde so manchen Elternteil ins Schwitzen bringen, wenn Arbeits- und Kinderbetreuungszeiten dann doch nicht kompatibel sind. Doch Punkt halb vier ist es Zeit für ihn, den Computer herunterzufahren, seine Sachen zusammenzupacken und Richtung Hort zu düsen – während für seine Kollegen das Wochenende erst eine halbe Stunde später beginnt. Problem ist das allerdings keines, denn er nutzt die Freizeitoption, die sein Unternehmen seit einem Jahr anbietet.
Für Gerald Bintinger ist es auch selbstverständlich, dass er – statt wie seine Kollegen fünf Wochen Urlaub im Jahr zu machen – stets noch eine sechste dranhängt. Schließlich hat er dank Freizeitoption den Anspruch auf eine Woche Mehrurlaub pro Jahr. „Das steigert die Lebensqualität doch deutlich, wenn man nicht übergenau mit den Urlaubstagen haushalten muss“, erzählt er über seine Beweggründe, statt einer jährlichen Lohnerhöhung lieber etwas mehr Freizeit zu haben: „Ich kann von meinem Gehalt gut leben.Warum sollte ich mehr wollen, wenn ich stattdessen mehr Zeit mit meiner Familie verbringen kann?“
So wie er denkt mittlerweile eine steigende Zahl von Mitarbeitern in der Elektro- und Elektronikindustrie, die sich seit der Einführung der Freizeitoption vor zwei Jahren für diese Alternative zur Erhöhung der Einkommen entschieden haben. Ursprünglich gedacht war sie für Mitarbeiter kurz vor Pensionsantritt, tatsächlich genutzt wird sie aber von allen Altersgruppen. Eine Umfrage der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) ergab, dass 31 % zwischen 31 und 40 Jahre alt sind, 29 % der Inanspruchnehmer sind zwischen 41 und 50 Jahre alt, 24 % befinden sich im sechsten Lebensjahrzehnt.
Dürfen alle Mitarbeiter von der Freizeitoption Gebrauch machen? Prinzipiell ja, so FEEI-Arbeitsrechtsexperte Peter Winkelmayer, aber mit Einschränkungen. Das Unternehmen gibt die Spielregeln vor: Schlüsselkräfte oder All-in-Mitarbeiter werden oft aus der Möglichkeit ausgeklammert, um den laufenden Betrieb nicht zu stören. Bereits im Vorfeld muss definiert werden, in welcher Form sie genommen werden darf. Die Freizeitoption ist auf jeden Fall ein Schritt zu mehr Flexibilität. Doch wie funktioniert das überhaupt, wer kann sie in Anspruch nehmen, welchen Vorteil hat das Unternehmen und was, wenn sich Unternehmen und Mitarbeiter nicht darauf einigen können, wann die Freizeit verbraucht werden kann?
Klar, dass die Mitarbeiter von einer besseren Balance zwischen privater und Arbeitszeit profitieren. Für Unternehmen liegt der Vorteil unter anderem darin, auf Wünsche von Mitarbeitern individuell eingehen zu können.
Die Freizeitoption lässt sich aber auch als Steuerungsmaßnahme bei niedrigerer Auftragslage einsetzen. „Bei uns herrscht derzeit Hochkonjunktur, sodass wir eher zu wenige Mitarbeiter haben. Bei Einführung der Freizeitoption 2013 wurde daher beschlossen, dass die Mitarbeiter ihr Zeitkonto erst ab 2016 in Anspruch nehmen dürfen“, sagt der Betriebsrat eines führenden Kabelherstellers. Sind die Auftragsbücher dann aber ebenso voll wie heute, kann die in Anspruchnahme noch weiter hinausgezögert werden.
Aber auch der umgekehrte Fall ist eine Win-Win-Situation für Unternehmen und Mitarbeiter, weiß der FEEI-Experte Winkelmayer: „Es gibt das Gleitzeitkonto, das Urlaubszeitkonto und dann noch die per Freizeitoption angesparte Zeit. Schlittert das Unternehmen in eine Krise, können die Mitarbeiter – falls so vereinbart – von der Freizeitoption Gebrauch machen und weniger arbeiten. So bleiben die Jobs erhalten. Die Freizeitoption ist eine Flexibilisierungsvariante, von der beide Seiten profitieren können. Vor allem in einer so volatilen Branche wie der Elektro- und Elektronikindustrie.“
Für Brigitte Ederer, Präsidentin des FEEI, stellt die Freizeitoption die Vorreiterrolle der Elektro- und Elektronikindustrie für moderne arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen unter Beweis. Im Kollektivvertragsabschluss 2015 haben sich die Sozialpartner einmal mehr auf verschiedene flexible Elemente der Lohn- und Gehaltsgestaltung geeinigt. Neben der bewährten Verteilungs- und Einumalzahlungsoption auch die Freizeitoption in erweiterter Form: „Die Vereinbarung der Freizeitoption wurde dem Grunde nach auf die Dauer von zehn Jahren im Kollektivvertrag verankert. Insgesamt kann nun ein Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses die Option viermal wählen, vor dem 50. Geburtstag maximal zweimal“, skizziert Ederer die Vereinbarung. „Die Regelung ermöglicht vor allem für ältere Arbeitnehmer eine längerfristige, planbare Lösung.“
Die Elektro- und Elektronik-industrie war Vorreiter, als im Frühling 2013 im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen die Freizeitoption vereinbart wurde. Als erste Branche führte sie ein, dass statt einer Ist-Lohnerhöhung auch Freizeit in Anspruch genommen werden kann. Später zogen dann z.B. auch die Bergbau-, Stahl- und Fahrzeugindustrie sowie die Papierindustrie nach.
Dafür entscheiden können sich sowohl Angestellte als auch Arbeiter – vorausgesetzt, es gibt eine Betriebsvereinbarung, auf die sich Unternehmen und Betriebsrat einigen. Glücklich, wer in einem solchen Unternehmen arbeitet, ermöglicht es doch den Mitarbeitern eine größere Flexibilität in Bezug auf ihre Lebensgestaltung. Ursprünglich vor allem für ältere Mitarbeiter kurz vor der Pensionierung gedacht, die statt einer Lohnerhöhung mehr Freizeit bevorzugen, wird die Möglichkeit aber quer durch alle Altersgruppen genutzt.
Die kollektivvertraglich vereinbarte Lohnerhöhung von 2017 um 1,6 % entspricht einer Zeitgutschrift von 32 Stunden pro Jahr. Wie Mitarbeiter das Zeitguthaben konsumieren, wird von Fall zu Fall ausverhandelt oder bereits in der Betriebsvereinbarung geregelt. Möglich ist alles: Jede Woche entsprechend kürzer arbeiten, vier Tage Urlaub mehr pro Jahr oder das Ansparen auf einem Zeitkonto, um eine längere Auszeit zu nehmen. Alles reine Verhandlungssache.