Europäisches Forum Alpbach 2016: Wie sicher ist unsere Strominfrastruktur?

Stromnetz Strom Windrad

Gelingt der notwendige Umbau der Energieversorgung auf ein CO2-neutrales System auf europäischer Ebene? Sind Netzsicherheit und Systemstabilität ständig und dauerhaft gewährleistet? Dies waren einige der zentralen Fragen, die Experten im Rahmen der Breakout-Session „Standortfaktor Versorgungssicherheit“ bei den Alpbacher Technologiegesprächen 2016 diskutierten.

Christian Helmenstein (Chefökonom der Industriellenvereinigung, Leiter des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung) wies zu Beginn der Breakout-Session „Standortfaktor Versorgungssicherheit“ auf die weitgehend unterschätzte Bedeutung des Stromnetzes hin. Er zitierte aus einer aktuellen Modellanalyse des Instituts Economica im Auftrag der APG, die einen direkten monetär bezifferbaren Zusammenhang zwischen den Auslandsinvestitionen in Österreich mit dem SAIDI – der durchschnittlichen Stromausfallsdauer – belegt:

  • Jede Minute an Versorgungsunterbrechung kostet in Österreich 800.000 Euro an Auslandsinvestitionen.

  • Sollte Österreich auf den europäischen Durchschnitt zurückfallen (plus 130 Minuten), würden Österreich 104 Mio. Euro an ausländischen Direktinvestitionen pro Jahr entgehen. Laut E-Control gab es in Österreich 2015 lediglich 27,18 Minuten keinen Strom – der niedrigste Wert seit mehr als zehn Jahren.

Und trotzdem hat das Thema nach wie vor zu wenig Raum in der öffentlichen Debatte. Warum?

„Das Stromversorgungssystem der Zukunft muss europäisch gebaut werden.“

Ulrike Baumgartner-Gabitzer, Vorstandsvorsitzende APG

 

Der Umbau der Energieversorgung auf ein CO2-neutrales System ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Ulrike Baumgartner-Gabitzer, Vorstandsvorsitzende des österreichischen Stromnetzbetreibers APG, ortet Tendenzen zu einem neuen „Biedermeier“ in Europa; und sie warnt davor. „Das Stromversorgungssystem der Zukunft muss europäisch gebaut werden“, warnt Baumgartner-Gabitzer vor zu wenig internationaler Zusammenarbeit. Der Erfolg der Umstellung der Stromerzeugung auf Erneuerbare hängt von der intelligenten Vernetzung von neuen Erzeugungs- und Speichertechnologien ab. Und diese muss über den Ausbau des Stromnetzes erfolgen – abgestimmt auf europäischer Ebene.

Baumgartner-Gabitzer sieht Österreich zwar auf einem guten Weg, weist aber auch darauf hin, dass der regulatorischen Rahmen weiter an ein neues, flexibles und erneuerbares Stromsystem angepasst werden muss. Aus ihrer Sicht stellt in jedem Fall die Versorgungssicherheit mit Strom die Grundvoraussetzung für die Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts Österreich dar.

Genehmigungsverfahren dauern zu lange

Als hemmenden Faktor bezeichnet sie die überlange Dauer bei Genehmigungsverfahren für dringend notwendige Infrastrukturausbauten. Auch spricht sie sich für den Erhalt der gemeinsamen Strompreiszone Österreich-Deutschland aus. Abschließend regt sie an, klare Regelungen für eine „strategische Netzreserve“ zu schaffen.

Stromversorgung Österreich

Standortfaktor Strom am Beispiel Greiner

Axel Kühner, CEO der Greiner Holding AG, betonte die hohe Bedeutung einer sicheren und qualitativ hochwertigen Stromversorgung für die Industrie und deren Wettbewerbsfähigkeit sowie als Entscheidungsfaktor für Betriebsansiedlungen. Österreich sei in dieser Hinsicht ein Topstandort – noch. In der Produktion von Joghurtbechern – die Greiner Holding produziert davon 16 Mrd. Stück im Jahr – bedeute ein dreiminütiger Stromausfall eine vierstündige Drosselung der Produktion.

Wolfgang Urbantschitsch, Vorstandsdirektor des heimischen Regulators E-Control Austria, verwies auf eine Neudefinition des Begriffs „Versorgungssicherheit“. Nicht mehr Energiemangel ist ein Bedrohungsszenario, sondern die ständige Gewährleistung von Netzsicherheit und Systemstabilität. Er unterstrich die Erfolgsbilanz der Strommarktliberalisierung und die Versorgungssicherheit auf einem europäischen Top-Level.

Susanne Nies, Leiterin der Corporate Affairs bei der ENTSO-E, sieht Europa in Sachen Liberalisierung und Vereinheitlichung der Energiepolitik auf Kurs. Die neu geschaffenen Institutionen wie ACER (europäisches Kooperationsgremium der Regulatoren) oder die ENTSO-E (Vereinigung europäischer Übertragungsnetzbetreiber) leisten ihren Beitrag dazu. Auch Nies sieht die zentrale Herausforderung für die Stromnetzbetreiber in der Erhaltung der Systemstabilität in einem künftig wesentlich volatileren und flexibleren Energieversorgungssystem. Sie bedauert eine teils kleinkarierte Herangehensweise an das Thema in manchen Bereichen.

Jürgen Schneider, Bereichsleiter im Umweltbundesamt, verwies auf den vermeintlichen Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und einer funktionierenden wie auch leistbaren Energieversorgung. Eine vollständige Transformation des Energieversorgungssystems in Richtung erneuerbarer Primärenergieträger hält er im Lichte der Klimaschutzziele nicht nur für unbedingt nötig, sondern auch für realisierbar. Unbedingte Voraussetzung dafür sind laut Schneider nicht nur der weitere Ausbau der erneuerbaren Erzeugungskapazitäten, sondern insbesondere massive Investitionen in die Übertragungs-, Verteilungs- und Speicherinfrastruktur.

Stromnetz Versorgungsring