Kryptowährungen sind in den Medien in aller Munde. Seitdem gewinnt eine der am häufigsten eingesetzten Technologien dahinter – die Blockchain – immer mehr Aufmerksamkeit. Wer an Anwendungen in der Energiewirtschaft denkt, muss sich aber keine Sorgen machen, seine Stromrechnung nur mehr mit Bitcoins zahlen zu können. Die Blockchain-Technologie ermöglicht neben dem nachbarschaftlichen Handel kleinster Strom- und Wärmemengen noch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten in der Energiebranche.
Durch die Liberalisierung des Strommarkts in den vergangenen 20 Jahren, den Anstieg des Anteils erneuerbarer Energien und die damit einhergehende Steigerung an Klein- und Kleinstanlagen gestaltet sich die Energielandschaft zunehmend dezentraler und komplexer. Diverse Pilotprojekte zeigen die neuen Möglichkeiten auf: Der Hausbesitzer kann dank seiner Photovoltaikanlage nicht mehr nur (Strom-)Verbraucher, sondern auch Produzent, also Prosumer, sein. Der Elektroautobesitzer lädt sein Fahrzeug – egal in welchem Land – auf und bezahlt automatisch dafür. Und Konsumenten können in Zukunft ihren Verbrauch sofort kontrollieren und für das Stromsparen mittels Bonussystem belohnt werden. Die Wertschöpfungskette entwickelt sich somit hin zu einer wechselseitigen Beziehung zwischen Energielieferanten und Verbrauchern. Zudem steigt der wirtschaftliche Druck, diese verteilte und kleinteilige Energieproduktion für das Netz und den Markt nutzbar zu machen.
Eine Blockchain ist im Grunde eine mögliche Art der Datenstrukturierung in einer Datenbank, die nicht von einer Autorität gesteuert, sondern dezentral von einem Kollektiv verwaltet und kryptografisch verschlüsselt wird. Damit ist sie transparent und gilt als besonders manipulationssicher. Im Falle von Kryptowährungen können so Transaktionen abgebildet und ohne einen Vermittler kostengünstig abgewickelt werden. Diese Eigenschaften machen die Blockchain auch für die Energiewirtschaft besonders interessant. Die Blockchain-Technologie bietet laut Experten vor allem im Verteilernetz neue Geschäftsmöglichkeiten und kann Vorteile für die Endkunden bringen. Für den Energiemarkt existieren weltweit bereits zahlreiche Pilotprojekte.
Die dezentrale Verteilung und die große Anzahl unterschiedlicher Betreiber von Elektroladestationen lassen heutige Abrechnungsverfahren an ihre Grenzen stoßen. Bei Lösungen wie „Share & Charge“ wird der für Elektroautos bezogene Strom über eine Blockchain festgehalten und abgerechnet. Teilnehmer können zudem ihre privaten Ladestationen anderen E-Auto-Fahrern zur Verfügung stellen. Die Bezahlung und die Abrechnung erfolgen selbsttätig über sogenannte Smart Contracts – automatisierte Verträge, die bei bestimmten Ereignissen in Kraft treten (wenn x, dann y) und keine menschliche Überwachung benötigen. Smart Contracts können selbstständig dafür sorgen, dass Strom beispielsweise dann nachgefragt wird, wenn der Preis unter eine vorher definierte Grenze gefallen ist. Die Abrechnung erfolgt ebenfalls automatisiert.
Wer außerdem sichergehen möchte, dass sein Elektroauto nicht mit Strom aus Kohle- oder Atomkraftwerken betrieben wird, greift in Zukunft auf die weiteren Möglichkeiten der Blockchain zurück: Die manipulationssichere verteilte Speicherung von Daten ermöglicht eine transparente, für alle Nutzer einsehbare und daher nachvollziehbare Dokumentation von Transaktionen. So lassen sich zum Beispiel Zertifikate für erneuerbare und regionale Stromproduktion schon beim Erzeugen des Stroms in einer Blockchain dokumentieren und handeln. „Damit können Produkte wie unter anderem Grün- und Regionalstrom entwickelt werden, die zweifelsfrei einer Quelle zuschreibbar und nicht duplizierbar sind. Erzeugungsanlagen wie beispielsweise Photovoltaik-Dachanlagen oder Blockheizkraftwerke können über ein mit dem Internet verbundenes Endgerät die eigenen Erzeugungsleistungen direkt in eine Blockchain schreiben. Die Dokumentation der Einspeisung oder auch eines eventuellen Verbrauchs ist somit manipulationssicher gewährleistet. Es gilt allerdings sicherzustellen, dass die Anlage vor Ort (Erzeugungsanlage, Messeinrichtung) korrekt authentifiziert ist und somit nicht falsche Werte unveränderlich in eine Blockchain geschrieben werden“, erklärt Jens Strüker, Professor an der Hochschule Fresenius und Autor der Studie „Blockchain in der Energiewirtschaft“.
Hat man früher beim Nachbarn geklingelt, weil der Zucker aus war, so kann man von ihm heute in Modell-Stadtteilen wie Brooklyn, New York, bereits Strom „holen“, wenn mal mehr gebraucht wird. Peer-to-Peer-Tauschplattformen (ohne dazwischengeschaltete Vermittler) sind der Dreh- und Angelpunkt für den Stromhandel in sogenannten Microgrids. Die Grundlage bildet ein intelligentes Messsystem, das die erzeugte Energiemenge beispielsweise in einer Blockchain erfasst. „Voraussetzung für ein Blockchain-basiertes Energiesystem ist eine ausgeprägte Sensor- und Automatisierungstechnik, unter anderem Smart Meter, Smart Devices bzw. Smart-Home-Anwendungen sowie Smartphone-Apps“, so Angela Berger, Geschäftsführerin der Technologieplattform Smart Grids Austria.
In der Blockchain können zusätzlich zur Stromproduktion und zum Handel auch Anlagenzustände überwacht werden, indem Abweichungen der definierten Messdaten erkannt werden. Betreiber, Investoren oder Versicherer erhalten so genaue und sichere Informationen über Beschaffenheit und Zustand der Anlagen sowie über die Eigentumsverhältnisse. Daraus lassen sich Maßnahmen zur vorausschauenden Instandhaltung von Anlagen ableiten.
All diese Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain haben das Potenzial, bestehende Rollen und Aufgaben in der Energiewirtschaft radikal zu verändern. „Der Fokus wird darauf liegen, neue Aufgaben für den Kunden zu erledigen, die bis dato unbekannt oder schwer zu bewältigen waren. Dazu gehört beispielsweise die umfassende Optimierung eines Kundenhaushalts über eine Analysesoftware mit anschließender Abrechnung über die Blockchain. Weiters könnte langfristig der Versorger zum „Data Intelligence Manager“ werden und den Wert der beim Kunden liegenden Daten über das Verhalten oder Geräteflexibilitäten bewerten und vermarkten“, erklärt Strüker.
Weltweit entstehen mit einer großen Dynamik zahlreiche Pilotprojekte und Konzepte in der Energiewirtschaft, die das enorme Potenzial der Blockchain für die Verbesserung von bestehenden Prozessen aufzeigen und helfen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Technologie entwickelt sich stetig weiter, und so können die Transaktionszahl pro Sekunde, die IT-Sicherheit, die Zuverlässigkeit, die Interoperabilität und auch die Wirtschaftlichkeit in den nächsten Monaten und Jahren verbessert werden. „Ein zentrales Erfolgskriterium wird die Integration von Blockchain-Anwendungen in bestehende energiewirtschaftliche Standardprozesse und energiewirtschaftliche Standardsoftware sein. Sobald hier die Interoperabilität verbessert wird, dürfte die Durchdringung rasch zunehmen“, so Strüker. Abseits der technischen Umsetzung gibt es für die Branche aber noch zahlreiche rechtliche und regulatorische Fragen zu klären.
Das größte Potenzial der Blockchain-Technologie für die Energiewirtschaft liegt laut Experten im Entwickeln und Ermöglichen neuer Geschäftsmodelle. Dazu müssen vorher aber grundlegende Skalierungs- und Regulierungsthemen geklärt werden, wie zum Beispiel ob ein Smart Contract einen rechtsgültigen Vertrag darstellt oder wie mit vertraulichen (Kunden-)Daten auf einer Blockchain umgegangen wird, ohne inakzeptable Abstriche bei IT-Sicherheit, Geschwindigkeit, Durchsatz und Energieeffizienz in Kauf nehmen zu müssen. Bettet man Abrechnungssysteme in die Blockchain ein, müssen möglicherweise finanzregulatorische Aspekte wie beispielsweise die Anwendung der europäischen Finanzmarktregelwerke MiFID (Markets in Financial Instruments Directive) oder REMIT (Regulation on Wholesale Energy Market Integrity and Transparency) berücksichtigt werden. Der Einsatz von Blockchain-Anwendungen löst durchaus auch Widersprüche aus: Regulierungen wurden aus einer bestimmten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Motivation heraus eingeführt. Werden diese Regulierungen durch Blockchain-Lösungen ausgehebelt, stellt sich die Frage, ob dadurch das System tatsächlich verbessert wird.
Bevor Unternehmen sich für Blockchain-Lösungen entscheiden, sollten sie sich immer die Frage nach dem Nutzen stellen, empfiehlt Helmut Leopold vom Austrian Institute of Technology (AIT): Ist eine Blockchain wirklich die geeignete Lösung für die Problemstellung? Lässt sie sich nutzerfreundlich mit bestehenden Abläufen und Schnittstellen kombinieren? Bringt sie wirklich den gewünschten Mehrwert? Man muss sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass bei allem Charme der Blockchain-Technologie deren Einsatz nur sinnvoll ist, wenn einer Lösung mit einer zentralen Datenbank nicht getraut wird, denn die Realisierung einer Blockchain bringt eine wesentlich höhere Komplexität mit sich als eine einfache Lösung durch eine zentrale Datenbank.
Eine Blockchain ist vereinfacht gesagt eine Datenbank, die redundant auf mehreren Rechnern vorhanden ist – einem sogenannten verteilten Rechnernetz. Ihr Zweck ist es, Daten unveränderlich zu speichern. Eine Blockchain kommt meist dann zum Einsatz, wenn es keine zentrale Kontrollinstanz gibt oder geben soll, der man vertraut.
In einer Blockchain-Datenbank werden alle Transaktionen der Teilnehmer gespeichert und um nachfolgende Transaktionen erweitert. Diese werden zu Blöcken gebündelt („block“) und innerhalb des Netzwerks in Form von aufeinanderfolgenden, kryptographisch verketteten Datensätzen festgehalten („chain“). Die eindeutige Kennzeichnung eines Blocks mittels einer Art Prüfnummer, des sogenannten Hash, garantiert dabei die Unveränderlichkeit des Blocks und der Verkettung der Blöcke.
Die Digitalwährung Bitcoin wurde 2009 auf dieser Basis umgesetzt. Die Blockchain dient hierbei als eine Art öffentliches, verteiltes Kassenbuch, in dem die gesamte Historie der Transaktionen für alle Beteiligten nachvollziehbar ist. Die Blockchain-Technologie beschränkt sich aber nicht auf Finanztransaktionen, sondern schließt andere Anwendungen wie Messdaten und Prozessabläufe ein, die dadurch manipulationssicher, nachvollziehbar und effizient durchführbar werden. Von der Blockchain erwartet man sich mehr Transparenz und eine Kostenersparnis. Eine Blockchain ist allerdings nur so korrekt wie die Informationen aus der physischen Welt, die man in sie überträgt: Ein falscher Wert kann nicht verändert werden, bleibt daher falsch.