Blickt man nach Hannover, wird deutlich, dass die Evolution der vernetzten Produktion ins Laufen kommt. Auch in Österreich gehen Unternehmen erste Schritte, jedoch stehen wir in der Entwicklung von Technologie und Organisation erst am Anfang. Pilotprojekte sollen helfen, weitere Erfahrungen in der Praxis zu sammeln.
Eine Fertigungshalle, die so sauber ist, dass man vom Boden essen könnte – wenn man denn dürfte. Denn Brösel haben hier nichts zu suchen. Im Gegenteil, selbst ein paar Staubkörnchen sucht man in diesem nahezu sterilen Umfeld vergeblich. An den blau-grauen Maschinenkästen stehen Mitarbeiter und kontrollieren Datenreihen, die über die Bild-schirme flimmern. So, wie man sich eben die Hallen eines Hightech-Fertigungsunternehmens vorstellt. Und doch ist in diesem Werk, in dem seit 1989 speicherprogrammierbare Steuerungen gefertigt werden, etwas anders. Die Fehler-quote beispielweise: Sie liegt bei zwölf dpm (defects per million), was einer Prozessqualität im Werk von 99,9988 % Prozent entspreche, so die Angaben des Unternehmens. Diese Benchmarks, die heute als herausragend gelten, würden in zwanzig Jahren in vielen Branchen Standard sein, erwarten Experten.
Das beschriebene Werk gilt als eines der europäischen Vorbilder, wenn es um die Umsetzung von Anwendungen geht, die den Weg zu Industrie 4.0 ebnen – der vierten industriellen Revolution. „Darunter versteht man eine lückenlos IKT-basierte Wertschöpfungskette, das Zusammenwachsen von modernsten Informations- und Kommunikations-technologien mit klassischen Produktions- und Logistikprozessen und ihren Ressourcen, und das technologie- und unternehmensübergreifend“, so Lothar Roitner, Geschäftsführer des FEEI. Seit der ersten Industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts, wo erstmals mechanische Produktionsanlagen entwickelt wurden, hat sich viel getan. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte mit der Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion der nächste Schritt. In den 1970er Jahren kam es durch den Einsatz von Elektronik und IT zu einer weiteren Automatisierung der Produkte. Nun steuern Produkte mittels cyberphysischer Systeme ihre Fertigung in der Smart Factory selbst. Jetzt also Industrie 4.0.
Die enormen Chancen für die Industrie zeigt eine von Herwig Schneider (IWI) im Auftrag des BMWFW verfasste Studie auf: Heimische Industrie 4.0-Branchen – die Elektro- und Elektronikindustrie, sowie die Maschinen- und Metall-warenhersteller – könnten jährlich bis zu 2,2 Milliarden Euro mehr Wertschöpfung oder 13.000 Beschäftigungs-verhältnisse generieren. Schneider erwartet, dass sich bis 2025 eine zusätzliche Produktion von 86,8 Milliarden Euro ergeben wird. Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) hat Industrie 4.0 zu einem der wichtigsten Schwerpunkte der Forschungs-förderungsaktivitäten erkoren und unter anderem Stiftungsprofessuren zu diesem Thema ausgeschrieben. Das Fördervolumen beläuft sich auf rund 125 Millionen Euro jährlich für Produktions-forschung und IKT, in das auch Industrie 4.0 eingebettet ist. Die Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft wird über die neu gegründete Technologieplattform Industrie 4.0 verstärkt, an deren Initialzündung der FEEI maßgeblich beteiligt war. Mit an Bord sind das Infrastrukturministerium, der Fachverband der Maschinen und Metallwaren Industrie (FMMI), die Industriellenvereinigung, die Arbeiter-kammer und die Produktionsgewerkschaft PRO-GE. „Zentrales Ziel und Zweck der Plattform sind, die Chancen von Industrie 4.0 bestmöglich für Österreich und die österreichische Industrie zu nutzen“, so Brigitte Ederer, Präsidentin des FEEI (siehe auch Seite 8). Sie sieht Industrie 4.0 als eine große Chance für die europäische Industrie, die sich gegen Billigkonkurrenz aus Asien behaupten muss.
Größter Wettbewerbsvorteil ist das mit Industrie 4.0 verbundene Know-how. Dies erkennen auch österreichische Manager, die für eine CSC-Studie über Industrie 4.0 interviewt wurden. Gefragt nach Verbesserungen für ihre Branche, die durch Industrie 4.0-Maßnahmen erzielt werden können, war die Wettbewerbsfähigkeit für 32 % ein wichtiger Punkt. 50 % versprechen sich davon auch eine höhere Effizienz, 33 % mehr Produktivität. Ein Grund mehr für Unternehmen, auf Industrie 4.0 zu setzen.
Nicht nur große industrielle Produzenten, sondern auch Zulieferer und Dienstleister, die als klein- und mittelständische Unternehmen die heimische Wirtschaft maßgeblich prägen, können von Industrie 4.0 profitieren. Neue Chancen für KMUs entstehen etwa dann, wenn sie sich mit anderen zu einer „virtuellen Fabrik“ zusammenschließen, in der sämtliche Möglichkeiten, die Industrie 4.0 bietet, kombiniert werden.
Welchen Mehrwert hat der Kunde von Industrie 4.0?
„Viele glauben, das funktioniere wie das Umlegen eines Lichtschalters und dann folgt die große Revolution. Dabei sind es viele kleine Evolutionen, die gemeinsam zu einer Revolution führen“, so Wilfried Sihn, Geschäftsführer des Fraunhofer Instituts Austria. Dabei sollte immer die Frage im Mittelpunkt stehen, wie man damit einen Mehrwert für Kunden schaffen kann – etwa in dem Produktteile auch in der Anwendung beim Kunden noch mit dem Hersteller kommunizieren. Beispielweise warnen sie Nutzer, wenn das Ende ihrer Lebensdauer erreicht ist und sie in weiterer Folge rechtzeitig ausgetauscht werden können. Das spart dem Endkunden Kosten, weil er gar nicht erst in die Verlegenheit eines Produktionsausfalls kommt.